Jedermanntherapie

Eine Therapiestunde zu siebt
Im Interview mit Jedermanntherapie

4 Jahre ist es nun her, dass Kreativpur ein Bandinterview geführt hat. Mit Jedermanntherapie konnte ich nun endlich nach der Corona-Welle weitermachen. Der Abend war jung und mild für Ende Oktober, weshalb wir es uns bei gutem Getränk und Esssen im husumer Brauhaus zusammengesetzt haben.

Die Therapeuten

Für gewöhnlich sitzt man während einer Therapiestunde einem Therapeuten gegenüber. Bei der Band Jedermanntherapie hat man es gleich mit sechs jungen Männern zu tun: Paul (32) – Sänger und Akustikgitarrist, Benjamin „Benzos“ (38) an der E-Gitarre und selbst ernanntes Bandmaskottchen (man siehe seinen mit Tattoos übersäten Körper), René „Snowman“ (34) am Bass, Daniel (44) an den Tasten, Danny (31) schwingt die Sticks am Schlagzeug und Mariusz „Weshkah“ (34) steuert die nötigen Rap-Elemente bei.


(von links nach rechts: Paul, Danny, Snowman, Benzos, Daniel, Mariusz)

Paul erzählt, dass er mit sechs Jahren angefangen hat, Klavier zu spielen, Das hat sich auch so lange gehalten, bis es bei Jedermanntherapie einen Wechsel am Mikrofon gab. „Obwohl ich das nie machen wollte“, gibt er zu, sind wir heute alle davon begeistert, eine solch starke und rauchige Stimme an der Front zu hören.

„Weihnachten 1994 fing bei mir alles an“, fängt Benzos an, in Erinnerungen zu schwelgen. „Bei BravoTV  lief von den Toten Hosen das Video zu ihrem Song `Alles aus Liebe‘. Der Gitarrist steht da im Flur und legt mit seiner Gitarre ein Gitarrensolo hin und ich habe gesagt `Ich will genauso Gitarre spielen wie der und genauso viele Tattoos haben‘.“ Kurz nach Weihnachten bekam er dann nachträglich seine erste Akustikgitarre von seinen Eltern geschenkt. Er schrieb sich in der Schule zum Musikunterricht ein, brachte sich mit den Jahren aber das meiste selbst bei. Trotzdem ist er seinem damaligem Klassenlehrer, Herrn Simonson, dankbar, dass er ihn auf diesen Weg gebracht hat.

Snowman ist in einer musikalischen Familie aufgewachsen, wodurch ihm das Talent, wie er sagt, in die Wiege gelegt wurde. Angefangen hat er mit Schlagzeug, als er sechs Jahre alt war. „In der Schule hatte ich dann meine erste Band und ich wollte irgendwann ein neues Instrument lernen. Der Bassist wollte lieber Schlagzeug spielen und ich Bass. Wir haben also unsere Instrumente getauscht“, erzählt er schmunzelnd. Zwischenzeitlich hat er auch Gitarre gelernt, ist aber bei JTP wieder zum Bass gewechselt.

Daniel wurde von seinem Vater inspiriert, der ebenfalls Musiker war und an der Orgel gespielt hat. Daniel verrät: „Bei uns stand immer eine Orgel im Haus und als Kind habe ich oft daran gespielt.“ Es entwickelte sich der Wunsch, nicht nur ein paar Töne spielen zu können, weshalb er mit ca. zehn Jahren anfing, Keyboard- und Klavierunterricht zu nehmen. Vieles weitere hat er sich dann aber selbst autodidaktisch beigebracht.

„Zur Musik gekommen, bin ich damals durch den Spielmannszug, in dem ich war“, erinnert sich Danny. „Ich habe alle sämtlichen Instrumente gespielt, die mit dem Schlagzeug zu tun hatten. Irgendwann haben sich meine Eltern gedacht, vielleicht kann er ja auch Schlagzeug spielen und haben mir zu Weihnachten, als ich 6 oder 7 war, zusätzlich ein Schlagzeug geschenkt.“ Unterricht bekam er aber keinen, denn den wollten seine Eltern ihm nicht bezahlen, beichtet Danny schmollend. Zu seinem großen Vorbild gehört u.a. Phil Collins.

Mariusz schaut in die Runde und sagt stolz: „Mein Instrument ist meine Stimme.“ Gesangs- bzw. Rap-Unterricht hatte er nie, aber das hielt ihn nicht auf, mit 13 bereits an eigenen Beats und Texten zu arbeiten. Hierbei hatte er oft Kool Savas als großes Vorbild. Heute ist er ein nicht mehr weg zu denkender Teil bei den JTP‘s.

In eine neue (Therapie-) Sitzung

Vor sechs Jahren waren JTP noch unter „Jules and the Pionees“ bekannt und hatten eine andere Besetzung. Snowman und Paul sind die einzigen, die geblieben sind und erzählen, wie es zu dem Wechsel kam: „Julia war damals Sängerin. Als sie schwanger wurde, konnte sie nicht mehr zu den Proben kommen und hat die Band aus privaten Gründen verlassen.“ Paul übernahm also ab dann den Gesang und saß nebenbei an den Tasten. Auch ein neuer Gitarrist und Schlagzeuger mussten her. Über einen Aufruf bei Facebook kamen sie an Benzos, der sich lange darum bemüht hat, seinen ehemaligen Bandkollegen Danny mit in die neue Band zu holen. „Benzos hat mich fast ein Jahr lang damit genervt, ich solle mitmachen“, lacht Danny. Er erzählt weiter: „Nach unserem letzten gemeinsamen Bandprojekt habe ich 2-3 Jahre keine Musik gemacht und wollte eigentlich auch nicht mehr. Aber damit Benzos Ruhe gibt, sagte ich einem Gruppentreffen zu. Ich wurde gefragt, ob ich mein Schlagzeug mitbringe und ich meinte `Nein´, denn ich wollte ja nur mal mit denen schnacken.“ Womit er nicht gerechnet hatte war, dass Snowman ein Schlagzeug bereitstellte und damit war die Sache erledigt: Danny übernahm die Drums bei JTP. „Heute bin ich sehr glücklich, denn ich hätte es sicher bereut, würde ich keine Musik mehr machen“, gibt Danny zu. Mit der Zeit stellte sich heraus, dass Paul sich nicht auf Gesang und Keyboard gleichzeitig konzentrieren kann. Auf den Facebook-Aufruf meldete sich Daniel, der mit einem Grinsen berichtet: „Der erste Besuch war sehr merkwürdig. Ich kam in den Raum rein, habe mich vorgestellt und dann haben sich alle wieder umgedreht und miteinander gesprochen. Eine halbe Stunde hat keiner mit mir geredet. Und dann die Frage `Hast du dein Instrument mit?´ Das war schräg.“ Mariusz kam dann über den Kontakt mit Benzos in die Band.

Doch wie wurde aus „Jules and the Pioneers“ „Jedermanntherapie“? Darauf gibt Snowman die Antwort: „Julia war weg, d.h. `Jules´ gab es nicht mehr. Benzos fragte, warum wir einen englischen Namen, aber deutsche Songtexte haben. Wir wollten aber `JTP´ gerne behalten.“ Benzos hatte dann die Idee zu „Jedermanntherapie“ und Snowman macht empört seine Reaktion von damals nach: „Ich sagte gleich `Näh! Wer will denn so heißen?´“ Heute sind die Jungs sehr zufrieden mit ihrer neuen (Therapie-) Sitzung – sowohl der Besatzung, als auch mit dem neuen Bandnamen.

Therapie für jedermann

Ihren Musikstil beschreibt die Band als „deutschen Rock-Pop mit Rap-Elementen“. Oftmals handeln die Texte von Themen, die die Jungs beschäftigen. Das kann etwas ganz Alltägliches, aber auch etwas Persönliches sein. „Wir versuchen immer, dass die Melodie das auffängt, was der Text aussagt“, sagt Paul. „Manchmal ist es wie ein Findungsprozess von jedem selbst“, glaubt Daniel. Paul ergänz: „Ja, wir therapieren uns mit unseren Texten irgendwie selber, wenn wir Musik machen. Unsere Texte sind nicht oberflächlich geschrieben. Jeder kann seine eigene Geschichte in den Songtexten sehen. Das ist wie Lyrik in Musikform. Nicht zu persönlich, sondern einfach, um einen Spiegel vorzuhalten, in dem sich jeder finden kann.“ Bei ihrem Song „Gibt’s mich“ hatten sie während ihrer Studioaufnahme zum ersten Mal das Gefühl, dass ein Song das Potential hat, mit dem sie in die Welt treten können – „Auf den sind wir stolz. Der hat die Energie und den Inhalt, den wir haben wollen und mit unserem Musikvideo zeigen wir damit die Dualität der Welt.“ Jeder Song ist für die Jungs, aber auch für uns Zuhörer, wie eine kleine Therapie mit uns selbst. Eine Therapie für jedermann. Tiefsinnig und gedankenreich.

Fortschritte machen

An ihren ersten gemeinsamen Auftritt können sie sich noch gut erinnern: In Kropp das ROH (Rock ob’e Hütt). Danny macht große Augen und berichtet: „Ich war da, glaube ich, erst 3-4 Wochen dabei und musste 12 Songs können. Ich weiß noch, ich hatte da ganz viele Spickzettel liegen und hatte Schweißausbrüche, dass ich was vergesse.“ Snowman erklärt, dass sie damals noch keine richtige Einheit waren und es für sie noch ganz neu war. Heute merken wir, dass die JTP‘s auf der Bühne im Einklang sind und die Therapie Fortschritte macht. Wenn sie an die Vergangenheit denken, kommen ihnen Auftritte wie beim Werner Rennen, die Hafentage, Blizzarrrd oder Birthday Bash direkt in Erinnerung. „Beim Werner Rennen waren wir wahrscheinlich die unbedeutendste Band auf dem ganzen Festival. Man kam da an und wurde trotzdem behandelt wie Könige. Die Tim Mälzer-Crew hat gekocht, wir wurden mit dem Bus zur Bühne gefahren und unsere Instrumente wurden auf die Bühne getragen.“, erzählt Daniel erstaunt. Bei den Worten „Man hat sich gefühlt wie ein kleiner Star“ bekommen alle leuchtende Augen.

Und natürlich herrscht bei allen eine gewisse Aufregung, bevor es auf die Bühne geht. „Holy shit!“, ruft Snowman, als er an sich selbst denken muss. „Also Snowman ist schon immer sehr aufgeregt, das sieht man ihm auch an. Den brauchst du nicht mehr ansprechen; der braucht die Minuten, um sich geistig vorzubereiten“, grinst Danny. Paul hingegen sieht es so: „Ich kann es jetzt auf jeden Fall mehr genießen. Früher dachte ich immer, was denken die Leute? Aber heute kann ich da stehen und zu mir finden.“ Und selbst wenn etwas mal nicht so läuft (Mikrofonschalter unbewusst aus, Instrumentenkabel nicht eingesteckt, verspielt, Text vergessen), die Jungs nehmen es locker – ist schließlich menschlich. Aber einen hat Benzos noch und lacht: „Als wir in Ostenfeld gespielt haben, habe ich zur Begrüßung Ostedt gesagt und alle haben mich verwirrt angesehen.“

Starke Gedanken in Bild und Ton

Inzwischen gibt es zwei EP‘s und zwei Musikvideos („Gibt’s mich“ und „Unter die Haut“). Begeistert erzählen sie mir, dass die Aufnahmen sowohl der EP und des Videos sich beim zweiten Mal ganz anders angefühlt haben. Zu den EP‘s sagt Mariusz: „Am Anfang war alles neu und man hat nicht so viel hinterfragt“, aber „beim 2. Mal haben wir uns selbstbewusster gefühlt und uns auch mal eingemischt, bevor wir etwas abgesegnet haben“, ergänzt Paul. Snowman meint daraufhin, dass sie sich zwischen den beiden Platten sehr stark weiterentwickelt haben – und sie sind sicher noch nicht am Ende ihrer Therapiesitzung angekommen. Es sind noch lange nicht alle starken Gedanken verarbeitet. In Planung ist ihr erstes Album, auf dem es neue, aber auch ältere Songs zu hören geben soll.

In ihren Musikvideos untermalen sie ihre Songs mit Bildern in schwarz-weiß und in Farbe. Auch hier gab es im Ansatz neue Erfahrungen, die gemacht wurden. Snowman erinnert sich: „Wir haben für `Unter die Haut´ Fans eingeladen und ein richtiges Casting gemacht. Wir hatten ca. 200 Anfragen. Wir haben dann bei Paul auf der Couch gesessen und eine Auswahl getroffen.“ – Das muss ein Spaß gewesen sein, denn Danny ruft aufgebracht in die Runde: „Davon wusste ich gar nichts! Ich wollte auch mitaussuchen“ und alle lachen.

Der Weg ist das Ziel

Um eine Therapie erfolgreich zu führen, müssen Paul, Benzos, Snowman, Daniel, Danny und Mariusz sich aufeinander einlassen und verlassen können. Paul ist ein „schräger, kreativer Künstler“, Benzos ein warmherziger und sehr engagierter Mensch, der laut Daniel, auch mal die Zicke raushängen lässt – worauf Benzos sich vorlehnt und sagt: „Einer muss ja die Diva sein.“ Snowman bringt vieles auf den Punkt und kümmert sich, „wenn mal jemand geradegerückt werden muss“, Daniel ist für die Jungs sowas wie der Bandpapa- „Er legt immer wert darauf, dass alles harmonisch verläuft und kümmert sich, wenn es jemandem mal nicht so gut geht“, erkennt Paul. Danny sagt immer auf direktem Weg, wenn ihm etwas missfällt und Mariusz bringt eine gewisse Leichtigkeit und immer gute Laune mit. Was sie besonders wertschätzen ist, dass sie sich charakterlich total unterscheiden und trotzdem Verständnis für den jeweils anderen aufbringen und sich immer mit Respekt begegnen. So sollte eine Therapie sein – fördernd und fordernd.

Auf dem Weg in ihre gemeinsame Zukunft nehmen sie sich so manches Ziel vor: einen Wechsel des Plattenlabels, irgendwann vor 10.000 Menschen spielen, Fans ihre Songs singen hören und die Menschen mit ihrer Musik immer im Herzen erreichen. „Ein Ziel zu haben ist wichtig, aber der Weg, den man nimmt, ist das wahre Ziel. – Der Weg ist das Ziel!“

Am Ende möchten sie ihren Fans ein großes Dankeschön ausrichten. Für die Jungs ist es ein unglaublich tolles Gefühl, dass so viele Menschen hinter ihnen stehen und ihre Musik feiern. Dabei denken sie an einen Rollstuhlfahrer, der sich bei einem ihrer Auftritte ihren Song „Steh‘ endlich auf“ so zu Herzen nahm, dass er sich aus seinem Rollstuhl erhob; an eine ältere Dame, die mit ihren geschätzten 80 Jahren vor der Bühne getanzt hat, an die Kinder, die vor der Bühne mitsingen und auch an die tollen Leute, die die offizielle JTP-Fanpage auf Facebook ins Leben gerufen haben – die „JTP-Supporter“. Ihr alle gebt den Jungs so viel zurück! Und dennoch möchte Danny eine letzte Sache loswerden: „Kauft mehr Merch!“


Ihr JTP‘s geht euren Weg, ihr wisst, dass ihr den richtigen Weg eingeschlagen habt und dass ihr als Therapie-Gruppe das Beste aus euch rausholt. Für die Zukunft wünsche ich euch viele weitere tiefsinnige Gedanken, die ihr mit uns teilen wollt und dass die Therapie – in diesem Sinne – nie ein Ende findet!



Das Interview wurde am 29.10.22 in Husum geführt.

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