Geisterfahrer

Unterwegs auf der falschen Spur
Im Interview mit Geisterfahrer

Stellt euch vor, ihr fahrt gemütlich auf der Autobahn Richtung Urlaub. Ihr schaltet das Radio ein, dreht die Musik lauter und plötzlich werdet ihr von folgender Nachricht aus euren mit Musik unterlegten Gedanken gerissen: „Achtung, Geisterfahrer!“ Geisterfahrer – Autofahrer, die versehentlich auf die entgegengesetzte Fahrbahn geraten sind und somit eine massive Gefahr für den Straßenverkehr darstellen.

Auf die falsche Spur sind diese Geisterfahrer, mit denen ich mich im Kieler MUM&DAD zum Interview getroffen habe, aber nicht. Mit ihren kaffeegefüllten Tassen und bei guter Laune sitzen mir die vier Jungmusiker gegenüber.

Geisterfahrer
Marco Schwarz (24) bildet als Sänger und Akustik-Gitarrist den Kopf der Band. Zu ihm gesellt sich Wladimir, von allen nur „Wladi“ genannt, Haase (25), der ebenfalls Akustik-Gitarre spielt und im Hintergrund singt. Akustik-Bassist und Sänger Frederik, bekannt als „Freddi“, Kleinschmidt (23) und Schlagzeuger Tobias alias „Tobi“ Nissen (21) machen die Band komplett. Zusammen machen sie ihre Heimatstadt Kiel als „Geisterfahrer“ unsicher. Nachdem sich jeder der Reihe nach vorgestellt und sein Alter genannt hat, fällt Marco auf: „Eigentlich bräuchten wir noch einen fünften Mann, der 22 Jahre alt ist. Dann wäre die Reihe komplett.“

Marco

Musik ist ein fester Bestandteil im Leben eines jeden von ihnen. Marco erzählt: „Die Musik, die ich früher gehört habe, also Rock und auch härtere Sachen, haben mich irgendwann dazu gebracht, dass ich auch Gitarre spielen wollte. Da war ich 13 Jahre alt. So generell bin ich wohl der erste in meiner Familie, der ein Instrument spielt. Und später kam dann noch der Gesang dazu.“

Wladimir

Wladi nimmt einen Schluck Kaffee und erzählt dann: „Ich habe zuerst Klavier gespielt. Ich hatte dann aber keine Lust mehr auf diese Art Musik und habe angefangen Gitarre zu spielen.“

Freddi

Freddi fing schon im zarten Alter von sieben Jahren an, mit seinem Opa Musik zu machen. Lächelnd erzählt er: „Angefangen hat alles mit meinem Opa, mit dem ich zusammen Akkordeon gespielt habe. Er ist irgendwie mein Schlüsselerlebnis, warum ich weiter Musik machen wollte.“ Aber Freddi spielt nicht nur Akkordeon und Bass. „Zusätzlich spiele ich auch Gitarre, Schlagzeug und mit Kontrabass habe ich es auch versucht.“ Er fängt an zu grinsen, erinnert sich, dass er gerade am Studieren ist und sagt dann: „Ich habe keinen Bock mehr, ich werde jetzt Musiker und mache nur noch Musik. Das ist mein Lebenstraum!“ Da fangen wir plötzlich alle an zu lachen.

Tobias

Tobi spielt schon seit über zehn Jahren Schlagzeug. Mit den Jahren hat er sich für viele verschiedene Musikgenres interessiert und er erinnert sich: „Zwischendurch habe ich dann Gitarre gespielt, aber jetzt bin ich Teil von ‚Geisterfahrer’ und spiele wieder Schlagzeug. Das Musikalische muss wohl in den Genen von meinem Opa liegen.“

Aus 2 wird 4
Alles begann vor über zehn Jahren, als sich Marco und Wladi durch gemeinsame Freunde zum Jammen trafen. Die Musik hat sie von Anfang an verbunden und so kam es, dass sie zuerst härtere Sachen aus den Bereichen Metal und Hardcore spielten. Bald folgten auch die leiseren Töne und prompt entstand der erste Song mit dem Titel ‚Podest‘. Diesen Stil wollten sie beibehalten! Fehlte nur noch ein passender Bandname. Ganz spontan mit der Überlegung „gegen den Strom schwimmen“ und „sein eigenes Ding machen“ kamen sie auf ‚Geisterfahrer‘. „Man könnte es auch noch so sehen: ‚Geister‘ steht dafür, dass man sich mit seinen eigenen Gedanken auseinandersetzt“, fügt Marco hinzu. Schnell schaltet sich Freddi mit einem scherzhaft gemeinten „Und einen religiösen Hintergrund haben wir auch“ ein, auf das Marco sofort mit „Nein, das haben wir nicht“ reagiert. Ein leichtes Schmunzeln kann er sich trotzdem nicht verkneifen. Die ersten Auftritte standen an und Marco fragt Wladi gedankenversunken: „Damals war unsere Setlist noch ganz klein. Ich weiß gar nicht, wie wir die Zeit vollgekriegt haben?“ Wladi lacht und antwortet: „Ich glaube, wir haben mindestens 3x ‚Podest‘ gespielt.“ Das Duo merkte, dass mehr Fülle in die Songs gehört – ein Bassist sollte her! Wladi kannte Freddi und schon wurde Freddi zum Geisterfahrer. Am richtigen Beat sollte es auch nicht fehlen! Freddi und Tobi kennen sich von ihrem früheren Job und haben sich in dieser Zeit voller gemeinsamer Erlebnisse angefreundet. Tobi setzte sich durch und vollendet das Team, welches es in dieser Konstellation nun seit Winter 2014 gibt.

Show

Dass die Chemie in der Band stimmt, merkt man. Und jetzt sollten sie mir die Geheimnisse für diese verraten! Für eine Weile herrscht Stille am Tisch, dann werden Blicke ausgetauscht und ein Gelächter bricht aus. „Wer fängt an“, fragt Marco in die Runde. Er. „Also an Tobi finde ich auf jeden Fall gut, dass er ein sehr kreativer Mensch ist. Freddi hat mich damals dadurch überzeugt, dass er sich in die Band gut einfinden konnte und auch wusste, was er spielen soll. Er bringt immer gute Ideen mit ein und ist im Allgemeinen ein sehr netter Typ! Wladi kenne ich ja nun auch schon ewig ..“ und muss überlegen. Wladi macht es ihm einfach und haucht: „Das reicht auch.“ Marco will das so nicht stehenlassen und fährt fort: „Ich mag seine menschliche Art, aber das trifft hier eigentlich auf jeden zu!“ Wladi ist als Nächster an der Reihe und überlegt: „Tobi. Was mag ich an Tobi? Tobi ist seit gut einem Jahr mein Mitbewohner und deshalb verstehen wir uns sehr gut. Ich mag auf jeden Fall, dass er eine ruhige Art hat und Marco ist sehr witzig.“ Da strahlt ihn Marco sofort mit einem breiten Grinsen an. „Zu Freddi muss man sagen, dass er sehr offen ist und sich in der Band um das ganze Organisatorische kümmert. Konzerte und die Kontakte im Nachhinein halten. Das läuft alles über ihn. Vor allem, weil er sehr gerne telefoniert“ und lacht zu ihm rüber. Jetzt möchte Freddi weitermachen: „An Tobi schätze ich seine Zuverlässigkeit; an Marco mag ich seine Art, wie er die Songtexte schreibt. Und Wladi – er ist eigentlich der Papa der Band.“ Freddi legt Wladi freundschaftlich seine Hand auf die Schulter und ergänzt: „Er hat gute Tipps fürs Leben; zu jeder Lebenslage kann er dir irgendwas sagen. Sehr weise der Junge!“ Tobi beendet die Runde: „Wie schon gesagt, wohnen Wladi und ich zusammen und verstehen uns sehr gut. Auch er hat eine ruhige Art, aber man hat immer viel Spaß mit ihm. Er ist immer gut drauf.“ Da wirft Freddi ein: „Manchmal auch wütend.“ Tobi guckt zu Marco, zeigt auf ihn und setzt der Aussage entgegen: „Wütend ist er hier! Aber das schätze ich an ihm. Also wenn wir mal im Stau stehen, dann brennt die Luft.“ Marco fängt wieder an zu grinsen und Freddi meint lachend: „Oder wenn er mal einen Parkplatz sucht.“ „Ja, das ist auch relativ lustig mit ihm. Ich glaube, jeder hat schon mal den Zorn des Marco abbekommen außer ich“, beendet Tobi seine Aufzählung. „Oder wenn ich mal zu spät komme“, fällt es Freddi schlagartig ein. Aber alle sind sich einig, dass Marco ein geiler Bandleader und guter Freund ist.

Deutsch versteht jeder
Ihren Musikstil kann man in den Akustik-Rock/Pop einordnen. Die deutschen, emotionalen und zum Nachdenken anregenden Texte werden von schwungvollen, ruhigen, aber auch knackigen Rhythmen unterlegt. Bei der Vorliebe für akustische Musik haben sich die vier, die generell aus verschiedenen Genres kommen, gefunden. „Es ist halt etwas anderes als Rock, den man überall hört“, erklärt Marco. Und warum auf Deutsch? Wladi überlegt, lacht und antwortet mit ironischem Unterton: „Weil wir kein Englisch können.“ Der wahre Grund ist natürlich: „Auf Deutsch können wir uns am besten ausdrücken und erreichen die Leute eher, weil jeder hier in Deutschland Deutsch versteht.“ Marco und Wladi schreiben seit Beginn an ihre Songtexte auf Deutsch, an ihren allerersten selbstgeschriebenen Song erinnern sie sich jedoch nicht mehr.

Lieber auf kleinen Bühnen
Marco, Wladi, Freddi und Tobi haben früher in jeweils einer eigenen Schülerband gespielt und erste Auftritte gehabt. Allerdings haben sie keine besonders guten Erinnerungen daran. Ihr erstes gemeinsames Konzert hatten sie im Shamrock in Husum und schwelgen in Gedanken. „Das war mit eines der besten Konzerte. Guter Sound und viele nette Leute. Hat uns sehr viel Spaß gemacht!“ Aus anfangs mitgebrachten Freunden zu ihren Auftritten ist heute eine noch recht überschaubare Fangemeinde geworden, die mit der Zeit aber sicher noch wachsen wird!

Bühne

Am liebsten „fahren“ die Geisterfahrer auf kleinen Bühnen. Dort entstehe eine „intime Atmosphäre“ und es lässt sich viel eher Kontakt zum Publikum aufnehmen. „Als Musiker macht man auf der Bühne zwar sein eigenes Ding, man muss sich ja selber wohlfühlen, aber es ist natürlich viel schöner, wenn man das Publikum dazu animieren kann, mit zu klatschen oder mit zu singen. Das hatten wir zwar erst selten, aber es kam schon mal vor. Das war echt cool! So bringt das dann schon deutlich mehr Spaß“, erklärt Marco. Egal, ob nun kleine oder größere Bühne – eine Grundaufregung ist bei jedem vorhanden. Freddi sagt: „Vor kleinen Mengen geht es, aber vor vielen Leuten ist es dann schon eine Herausforderung.“ „Also erst mal ein Bier trinken“ bevor es auf die Bühne geht.

Wie jedem Künstler, sind auch den Geisterfahrern schon Pannen auf der Bühne passiert. Am Tag zuvor hatte die Band einen Auftritt in Nahe und Freddi erinnert sich: „Mir ist gestern das Mikro runtergefallen – direkt auf ein Glas Bier und das ist zerplatzt.“ „Das eine Mal wollte ich vor dem nächsten Song etwas Tiefgründiges sagen. Ich habe mich gedanklich total verloren und wusste dann gar nicht mehr, was ich sagen soll. Das war ein unangenehmes Gefühl für mich“, beichtet Marco.

Selbstgemacht
Nachdem Marco und Wladi ‚Podest‘ geschrieben hatten, folgte kurz darauf ihr erstes Video. Hierfür haben sie sich einfach mit ihrem Freund Arne von Pixelperle (Medienproduktion in Flensburg) getroffen und angefangen aufzunehmen. Auch eine erste EP sollte entstehen – auf ganz skurrile Weise: aufgenommen im Kleiderschrank. War da denn genug Platz? „Wir haben damals Gesang und die Instrumente bei mir zuhause aufgenommen, also home-recording, und so klingt das auf der CD auch. Im Kleiderschrank war dafür früher der beste Sound für die Aufnahme“, schildert Marco ihr damaliges Vorgehen. Das Gefühl, endlich etwas Eigenes in Händen zu halten war wie „Hier hast du eine selbstgebrannte CD von mir“. Im August 2015 sollte sich das Gefühl ändern! Es wurde eine zweite EP mit dem Titel ‚Gerade stehen‘ produziert. Wie war das Gefühl dann? „Jetzt hast du dein eigenes Werk und bist da voll stolz drauf“, umschreibt es Tobi und hält demonstrierend die EP (aus Luft) in die Höhe.

Ein zweites Video zu ihrem Song ‚Neues Glück‘ rückte nach. Unterstützung gab es von dem vierköpfigen Team von Pixelperle, das sich um Requisiten, Schauspieler und Bearbeitung gekümmert hat. ‚Geisterfahrer‘ haben seit Kurzem einen neuen Song, zu dem auch ein neues Video entstehen soll – wieder ein Projekt von Arne. Wir dürfen gespannt sein!

Ideen zu Songs und Videos entstehen nicht nur in den Köpfen der vier Jungmusiker, sondern auch in ihrem Proberaum im Gaardener Hochbunker. Bewegungsfreiheit? Nicht wirklich. Lachend zieht Marco eine durchsichtige Mauer zur anliegenden Sitzecke im MUM&DAD und sagt: „Wir haben ungefähr diesen kleinen Bereich. Du kannst auf einer Stelle stehen, dich nur hin und her bewegen und das war’s.“

Die Tassen leeren sich und so langsam packen wir unsere Sachen zusammen. Diese Kieler Geisterfahrer fahren mit ihren Texten, ihrer Musik, auf der richtigen – also der falschen – Spur durch Deutschland. Auch wenn wir unsere Augen nach Falschfahrern offen halten sollten, Marco, Wladi, Freddi und Tobi müssen wir nicht ausweichen, wenn sie uns entgegenkommen!

Für eure musikalische Weiterfahrt auf der „falschen Spur“ wünsche ich euch alles Gute und immer einen Grund, warum ihr auf der Gegenfahrbahn richtig seid!

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Das Interview wurde am 20.03.2016 in Kiel geführt.

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